Interview mit Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg
Umsatzeinbrüche, Kurzarbeit, Geschäftsschließungen: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Unternehmen sind weltweit massiv. Wie kommt die Wirtschaft nach dem Shutdown schnell wieder auf Touren? Einschätzungen von Experten aus unterschiedlichen Bereichen von Wirtschaft und Politik in der gemeinsamen Interviewreihe der CONCEPT AG und der Sympra GmbH (GPRA).
Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin Handelsverband Baden-Württemberg
Frau Hagmann, der Einzelhandel ist von der Pandemie besonders stark betroffen: In den Supermärkten gab es teilweise Hamsterkäufe und hart schuftende Mitarbeiter, ansonsten geschlossene Läden und Kurzarbeit. Kann man die Lage dennoch auf einen Nenner bringen?
Die vergangenen Wochen waren nicht nur für den gesamten Einzelhandel, die übrige Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch für uns als Handelsverband Baden-Württemberg die turbulentesten und aufregendsten unserer über 100-jährigen Geschichte. Es ist gut, dass die Geschäfte wieder öffnen durften, dafür haben wir uns als Verband vehement eingesetzt. Dabei stand natürlich für alle der Gesundheitsschutz der Bevölkerung an erster Stelle.
Die meisten Händler – auch die systemrelevanten – hatten Umsatzeinbußen während der Corona-Beschränkungen, die nicht systemrelevanten von bis zu 100 Prozent. Die Mehrheit rechnet auch für das verbleibende Jahr mit einem Umsatzminus von 50 Prozent und mehr. Zusätzlich belastet die Händler die verordnete Maskenpflicht in allen Läden. Der Handel befürwortet und unterstützt sie ausdrücklich; aber zusammen mit den umfassenden Hygienemaßnahmen, die wir ebenfalls voll mitunterstützen und die auch notwendig sind, ist das eine teils hohe finanzielle Belastung für die Branche.
Wir sind froh, dass wir jetzt einen kleinen Schritt in die Normalität gehen durften, dennoch ist die Lage im Handel weiterhin sehr besorgniserregend. Umfragen unter unseren Mitgliedern haben gezeigt: Belastend für alle Händler ist die Verunsicherung in der Branche, wie es nach der Corona-Krise strukturell und finanziell weitergeht. So sind die Umsätze auf Rekordtief. Im Durchschnitt haben die Geschäfte in der ersten Woche der Wiedereröffnung mit einem Umsatzminus von weiterhin durchschnittlich 80 Prozent zu kämpfen, bei fast gleichen Kosten wie vor der Krise bei 100 Prozent Umsatz. Weitere Entschädigungsleistungen an die Branche für die Zwangsschließungen sind noch nicht in Aussicht. Weshalb diese nur für die Gastronomiebranche fließen sollen – die sie natürlich ebenso dringend benötigt wie der Einzelhandel –, ist politisch nicht nach vollziehbar.
Offensichtlich scheint der Politik der Einzelhandel nicht wichtig zu sein. Die Konsequenzen für die Gesellschaft, Kommunen und Städte, wenn durch Insolvenz bedingte Leerstände die Städte verhunzen und Tausende Arbeits- und Ausbildungsplätze verloren gehen, werden verheerend sein. Wir sind überzeugt: Jetzt müssen alle – Kommunen, Politik und auch der Handel – an einem Strang ziehen und beweisen, dass wir diesen Wandel aktiv gestalten können.
Es droht eine gewaltige Pleitewelle: Was fordern Sie von der Politik, von den Vermietern – und von den Konsumenten?
Da haben Sie völlig recht. Tausende Einzelhandelsbetriebe, auch mittelständische, in der Region verwurzelte, stehen vor dem Aus, wenn sie keine Unterstützung bekommen. Um es ganz klar zu benennen: Es droht ein Horrorszenario: ausgestorbene Innenstädte, zerstörte gesellschaftlich wichtige Strukturen des stationären Einzelhandels und ein Ende des Kulturguts Stadt, wie wir es kennen. Mit einer drohenden Pleite- und Entlassungswelle im Einzelhandel sind aber nicht nur individuelle „Stadtansichten“ für immer verloren, sondern auch viele Arbeitsplätze und enorme Steuereinnahmen. Von der Politik fordern wir dringend einen staatlichen Entschädigungsfonds für den durch die Corona-Krise schwer getroffenen Einzelhandel. In verschiedenen Briefen an die Landesregierung haben wir diese Forderung immer wieder verdeutlicht: Wir brauchen eine staatliche Garantie einer Entschädigungsleistung für den eingetretenen Schaden auch für den zwangsgeschlossenen Einzelhandel. Von den Vermietern von Einzelhandelsfläche erhoffen wir uns Entgegenkommen – sei es durch Stundung oder zeitweiligen Erlass der Miete. Denn die Miete ist ein fixer Kostenpunkt, der die Händler belastet. Es sind Kosten, die weiterlaufen und bezahlt werden müssen, obwohl die Einnahmen drastisch zurückgegangen sind. Den Konsumenten wollen wir sagen: Unterstützen Sie jetzt den Handel vor Ort. Er braucht Sie. Ich kann versichern: Der Einkauf vor Ort ist und bleibt gesundheitlich unbedenklich.
Jetzt müssen alle – Kommunen, Politik und auch der Handel – an einem Strang ziehen und beweisen, dass wir diesen Wandel aktiv gestalten können.
Sind Plattformen, auf denen sich der stationäre Einzelhandel mit seinem Angebot online präsentieren kann, eine Lösung für die Zukunft?
Beispielhaft will ich hier das Internetportal www.lokalhelden-bw.de nennen, das wir gemeinsam mit dem Gemeindetag Baden-Württemberg ins Leben gerufen haben. Dort finden sich unzählige Händler, Gastronomen und andere Dienstleister, die sich und ihre Services ins rechte Licht rücken, aber auch Kommunen und City-Marketings, die unterstützend wirken wollen. Das ist für mich ein zukunftsweisendes Konzept. Ebenso wie der Ideenwettbewerb „Lokaler Online-Marktplatz“, den wir vor zwei Jahren gemeinsam mit dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz ins Leben gerufen haben. Die ersten Gewinner haben innovative und kreative Lösungsansätze gezeigt, wie eine Belebung des innerörtlichen Handels mit digitalen Werkzeugen im ländlichen Raum händler- und kundenfreundlich gelingen kann. Im besonderen Fokus stehen dabei die Sicherung von Nahversorgungsstrukturen mit regionalen Produkten und die Digitalisierung lokaler Märkte. Mit dem Ideenwettbewerb „Lokaler Online-Marktplatz“ und den daraus entstehenden Projekten kann der Einzelhandel im ländlichen Raum mithilfe der Digitalisierung die Chance ergreifen, on- und offline Angebote optimal zu verbinden. Eine Belebung des innerörtlichen Handels wird mit digitalem Einkaufskomfort verknüpft, um die Wirtschaftskraft der jeweiligen Region optimal zu nutzen und damit den lokalen Einzelhandel zu erhalten und weiter zu stärken.
Die Krise als Chance zu bezeichnen wäre sicher euphemistisch. Aber haben Sie auch Hoffnung, dass der Einzelhandel gestärkt wird?
Ja, natürlich. Zum einen hoffen wir auf einen Schub in der Digitalisierung des Einzelhandels, aber auch auf einen gewissen Entschleunigungseffekt, sodass persönliche Beratung wieder mehr wertgeschätzt wird. Auch bei diesem wichtigen Thema stehen wir unseren Mitgliedern mit Rat und verschiedenen Angeboten zur Verfügung. Zum anderen war und ist die Bereitschaft, dem Handel zu helfen, ihn zu unterstützen, immer noch wirklich überwältigend. Es gibt in der Tat unzählige Initiativen, die genau das im Sinn haben – vor allem auch, den lokalen Handel zu stärken und mehr regional einzukaufen. Hier sticht, wie gesagt, das Internetportal www.lokalhelden-bw.de heraus. Während der Corona-Krise hat sich – so meine Beobachtung – ein neues Wir-Gefühl für den Handel entwickelt, der mir Hoffnung für die kommende schwere Zeit gibt.