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Interview mit Dr. Stefan Kaufmann, Mitglied des Deutschen Bundestages, Abgeordneter des Wahlkreises Stuttgart-Süd

„Wir im Südwesten haben mehr Chancen als Gefahren“

Umsatzeinbrüche, Kurzarbeit, Geschäftsschließungen: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Unternehmen sind weltweit massiv. Wie kommt die Wirtschaft nach dem Shutdown schnell wieder auf Touren? Einschätzungen von Experten aus unterschiedlichen Bereichen von Wirtschaft und Politik in der gemeinsamen Interviewreihe der CONCEPT AG und der Sympra GmbH (GPRA).

Dr. Stefan Kaufmann

Herr Dr. Kaufmann, die Hilfen der Regierung und der Agentur für Arbeit für Unternehmen in Not kamen unbürokratisch, schnell und retteten vielen das Überleben. Was kann die Politik jetzt tun, damit die Wirtschaft zügig wieder in die Gänge kommt?

Wir haben Anträge bei der KfW im Umfang von rund 29 Milliarden Euro, davon sind bereits 98 Prozent bewilligt. Für die Soforthilfe für Unternehmen konnten wir bisher 9,3 Milliarden Euro bereitstellen, viele Sofortkredite wurden schon über die Länder- und Bürgschaftsbanken ausbezahlt. Die Rettungsschirme haben viele Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen erreicht, doch gerade für die Gastronomie-, Event-, Tourismus- und Kultur-Bereiche müssen wir weitere Lösungen erarbeiten. Aber: „Wir lassen niemanden allein“, das betont auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier immer wieder.

Was passiert, wenn die Wirtschaft wieder anläuft? Wir können nicht die Marktwirtschaft gegen den Gesundheitsschutz ausspielen. Wir müssen mit unseren Maßnahmen in erster Linie die Gesundheit der Menschen schützen und vermeiden, dass es zu einem erneuten Shutdown kommt – auch um noch schwerwiegendere Folgen für die Wirtschaft zu verhindern. Die Sofortmaßnahmen, die dann greifen, sollen auch für strukturelle Verbesserungen im Wettbewerb genutzt werden können. Darüber hinaus orientieren wir uns an den Empfehlungen der Leopoldina: Steuererleichterungen, das Vorziehen der Teilentlastung des Solidaritätszuschlags oder die vollständige Abschaffung und auf der anderen Seite zusätzliche Mittel für Investitionen ins Gesundheitswesen und in die digitale Infrastruktur. Auch auf europäischer Ebene ist solidarisches Handeln gefragt: Hier geben wir Geld in europäische Töpfe, was wiederum auch Deutschland zugutekommt. Hier müssen wir investieren, das hat uns die Finanzkrise 2008 gelehrt.

In Situationen wie dieser ist man froh, wenn ein starker Staat unterstützend zur Seite steht. Müssen wir uns darauf einstellen, dass der Staat in der Wirtschaft in Zukunft kräftig mitmischt?

Als CDUler – und persönlich – bin ich an einer sozialen Marktwirtschaft interessiert. Dass sich der Staat direkt beteiligt, kann immer nur ein letztes Mittel sein. Allerdings sind wir zurzeit in einer extremen Situation. Deshalb haben wir einen Wirtschaftsstabilisierungsfond mit 100 Milliarden Euro für direkte staatliche Beteiligungen geschaffen, Geld, das eingesetzt werden kann, aber nicht eingesetzt werden muss. Dieser Unterstützungsfonds gilt auch für systemrelevante mittlere Unternehmen und, unter bestimmten Bedingungen, auch für Start-ups. Es ist wichtig, dass wir diese Möglichkeit geschaffen haben und zur Not verwenden können. Dass das funktioniert, hat die Rettung der Commerzbank in der Finanzkrise gezeigt, ähnlich könnte es mit der Rettung der Lufthansa ablaufen. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir systemrelevante Unternehmen vor der Insolvenz bewahren können.

Wir müssen mit unseren Maßnahmen in erster Linie die Gesundheit der Menschen schützen und vermeiden, dass es zu einem erneuten Shutdown kommt – auch um noch schwerwiegendere Folgen für die Wirtschaft zu verhindern.

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Oft wurden die internationalen Lieferketten beklagt, die Bänder zum Stillstand brachten. Womöglich wird wieder zurückverlagert. Gefahr oder Chance für die Unternehmen im Südwesten?

Grundsätzlich, denke ich, haben wir im Südwesten immer mehr Chancen als Gefahren. Aber natürlich merken die Unternehmen mit internationalen Lieferketten jetzt, dass sie zu einer dualen Strategie zurückkommen müssen. Die Hochschule Karlsruhe hat eine Online-Umfrage unter Unternehmen in 16 führenden Industrienationen durchgeführt, die zum dem Schluss kommt, dass die Störungen der Lieferketten insbesondere durch die Produktion im Ausland herbeigeführt werden. Insofern gehe ich davon aus, dass auch die Unternehmen jetzt unabhängiger von internationalen Produzenten sein möchten und überlegen, wieder hierzulande oder in Europa zu produzieren. Diese Strategie verfolgt auch die Bundesregierung beispielsweise bei der Herstellung von Masken oder Schutzkleidung, aber auch in der Arzneimittelherstellung. Dabei sollten wir eine europäische Lösung verfolgen und Europa als Produktionsstandort stärken, um in Zukunft weniger abhängig von globalen Lieferketten zu sein.

Bei der Pandemie sind die im Vorteil, die ihre Arbeit ins Homeoffice verlegen konnten. Steht uns ein Wandel in der Arbeitswelt bevor, der Büroflächen weniger knapp werden lässt? Wie werden sich Wohnen und Arbeiten mittel- und langfristig verändern?

Das ist eine spannende Frage! Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagt, dass derzeit jeder vierte Betrieb in Deutschland anbietet, mobil zu arbeiten. Auch nach der Krise möchten viele Beschäftigte zeitweise im Homeoffice arbeiten; diese Möglichkeiten sollte man schaffen. In diese Richtung wird sich vieles verändern: bei Sachbearbeitern, Managern und Behörden. Ich würde mir wünschen, dass vieles davon bleibt, aber natürlich kann man nicht jedes persönliche Meeting durch eine Videokonferenz ersetzen. Man wird auch weiterhin reisen müssen, und es wird weiterhin wichtige Konferenzen geben, an denen man persönlich teilnehmen muss. Aber die eine oder andere Besprechung lässt sich sicher von zu Hause aus regeln. Wichtig dabei ist es, die Maßnahmen auf den Prüfstand zu stellen und das zu behalten, was sich als sinnvoll herausgestellt hat. Ähnliches gilt auch für Hochschulen und Schulen – auch hier ist deutlich geworden, dass sich vieles dank Digitalisierung orts- und zeitunabhängig erleben und bearbeiten lässt.