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Exklusivinterview mit Matthias Müller, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG

„Wir müssen jetzt in die Zukunft planen, statt nur die Gegenwart zu managen“

Umsatzeinbrüche, Kurzarbeit, Geschäftsschließungen: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Unternehmen sind weltweit massiv. Wie kommt die Wirtschaft nach dem Shutdown schnell wieder auf Touren? Einschätzungen von Experten aus unterschiedlichen Bereichen von Wirtschaft und Politik in der gemeinsamen Interviewreihe der CONCEPT AG und der Sympra GmbH (GPRA).

Matthias Müller, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG; Bildquelle: Volkswagen Aktiengesellschaft

Herr Müller, das Geschäft der Autoindustrie ist durch die Corona-Pandemie weltweit eingebrochen. Erste Schätzungen sprechen von bis zu zehn Millionen Autos, die wegen der Krise nicht gebaut werden. Das wäre ein Minus von zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wie optimistisch sind Sie als ausgewiesener Experte der Branche, dass sie sich schnell erholt?

Zuversichtlich, um nicht zu sagen: sehr optimistisch. Inwieweit der Markt einbricht, beurteilen Analysten unterschiedlich. Die einen sprechen von zwölf Prozent, andere sogar von 29 Prozent. Betrachtet man den Gesamtmarkt, der in diesem Jahr zwischen 80 und 90 Millionen Fahrzeugen weltweit liegen sollte, dann sind es etwa 10 bis 25 Millionen Autos, die zunächst nicht gebaut werden. Aber – das zeigen frühere Krisen und darauf begründet sich meine Zuversicht – die Autoindustrie ist krisenerprobt. In der Finanzkrise 2008/2009 erlebten wir auch eine erhebliche Kaufzurückhaltung. Die Erfahrung zeigt, dass sich durch die momentan nicht gebauten und verkauften Autos eine Bugwelle aufbaut, die zumindest einen Teil des Absatzes zeitversetzt kompensiert.

In der aktuellen Krise lohnt ein Blick zurück auf die Zeit vor Corona. Die Autoindustrie war an sich robust, allerdings hat auch da schon der eine oder andere Hersteller geschwächelt. Das lag z. B. an Produktzyklen, aber auch – ich nenne es jetzt mal so – an der Wohlstandsverwahrlosung großer Unternehmen, die in guten Zeiten Fett angesetzt haben. Diese Unternehmen müssen nun so oder so versuchen, sich durch Effizienzprogramme und weitere Maßnahmen zu konsolidieren und neu zu orientieren. Ich glaube, die Branche ist derzeit umständehalber nicht im grünen Bereich, aber sie wird in absehbarer Zeit wieder dahin kommen.

Wir dürfen die Lage auch nicht allein durch die deutsche Brille betrachten, sondern global. Prognosen sehen den weltweiten Automobilmarkt auf etwa 100 Millionen Fahrzeuge pro Jahr ansteigen. Dahingestellt, ob die Zahl genau stimmt oder nicht – auf alle Fälle hat die Autoindustrie international betrachtet eine Perspektive. Wir sehen heute schon, dass der Markt in China wieder anzieht, Europa und die USA werden (hoffentlich) bald folgen.

Umweltfreundliche Antriebe, Digitalisierung, autonomes Fahren – die Branche ist mitten im Wandel. Wird Corona die Schwerpunkte verschieben?

Unbestreitbar wird es Veränderungen geben – sie sind aber längst eingeleitet. Auch wenn es schon oft gesagt wurde: Klima- und Mobilitätswende müssen miteinander einhergehen! Die Menschen wollen/müssen auch zukünftig möglichst kommod von A nach B kommen. Deswegen wird sich die Autoindustrie zur Mobilitätsindustrie wandeln und integrierte Verkehrskonzepte unter ökologischen Gesichtspunkten gestalten oder zumindest mitgestalten. Das bedeutet, unterschiedliche Verkehrsträger so zu koordinieren und prozessual zu vernetzen, dass der Kunde ohne schlechtes Gewissen bezüglich seines ökologischen Footprints von A nach B kommt.

Das Thema ist längst erkannt; schon 2016, als Volkswagen noch massiv mit dem Abgasskandal konfrontiert war, wurde strategisch an Konzepten zur Transformation hin zu umweltfreundlicher Mobilität gearbeitet. Beispielsweise durch Gründung des Ridesharing-Dienstes Moja oder den Erwerb von PTV (ein Software-Unternehmen für Transport- und Verkehrskonzepte) durch die Porsche SE. Man kann nur hoffen, dass andere Verkehrsträger, wie die Bahn oder Luftfahrtgesellschaften, ebenfalls diesen Weg einschlagen, um Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen.

Wichtig ist dafür auch eine technologieoffene Debatte bei alternativen Antriebskonzepte, anstatt nur blind auf batteriebasierte Elektromobilität zu setzen. Denn die Zukunft könnte, nein, muss auch in Benzinern mit synthetischen Kraftstoffen, hocheffizienten Dieselmotoren, hybriden Antrieben oder gasbetriebenen Autos liegen. Betrachten wir die gesamte Prozesskette und rechnen bei der Elektromobilität die Erzeugung und Entsorgung der Batterie mit ein, dann ist ein solcher Antrieb unter ökologischen Gesichtspunkten nicht attraktiver als ein moderner Dieselmotor.

Baden-Württemberg hat auf diesen Gebieten großartige Unternehmen, wie das Start-up Ineratec in Karlsruhe, das sich mit synthetischen Kraftstoffen beschäftigt und beweist, was möglich wäre. Die Frage ist nur: Werden diese Konzepte irgendwann politisch anerkannt und kann man diese Technologie mithilfe der Mineralölindustrie industrialisieren, um größere Mengen wirtschaftlich herzustellen?

Zulieferer, wozu auch große Unternehmen wie Bosch und Conti gehören, aber auch viele kleinere Firmen, sind nicht ohne Grund das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Sie sind es, weil sie sehr innovativ und kreativ sind, gut gemanagt werden und durchaus selbstbewusst auftreten.

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Viele mittelständische Zulieferer haben bereits kräftig in den Transformationsprozess investiert. Ergeben sich nach der Corona-Krise daraus sogar neue Chancen – Stichwort: gestörte Lieferketten, Rückverlagerung nach Deutschland?

Da bin ich ebenfalls zuversichtlich! Zulieferer, wozu auch große Unternehmen wie Bosch und Conti gehören, aber auch viele kleinere Firmen, sind nicht ohne Grund das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Sie sind es, weil sie sehr innovativ und kreativ sind, gut gemanagt werden und durchaus selbstbewusst auftreten. Sie sind auf einem guten Weg, brauchen aber noch mehr als die großen Konzerne und OEMs verlässliche Rahmenbedingungen – letztendlich durch die Politik. Und so dramatisch die derzeitige Situation auch sein mag, OEMs und Tier-n-Lieferanten beherrschen es im Zusammenspiel, die momentan gestörten Lieferketten in kurzer Zeit wieder zu reaktivieren.

Nach der Finanzkrise 2008/2009 gab es die Abwrackprämie. Was brauchen Hersteller und Zulieferer heute, um sich am Markt zu behaupten und zukünftig profitabel zu sein?

Die Abwrackprämie war damals. In der derzeitigen Situation braucht es ein angepasstes Konzept, etwa ein Konjunkturprogramm. Da muss die Autoindustrie ein wesentlicher Baustein sein, weil sie eine tragende Säule der deutschen Industrie ist und letztlich einen positiven Effekt auf die gesamte Volkswirtschaft hat.

Das muss aber einhergehen mit einem ausgeprägten Willen zu Reformen. Es geht nicht nur darum, die Gegenwart zu managen, sondern jetzt in die Zukunft zu planen. Bei der Autoindustrie betrifft das Variantenvielfalt, Antriebskonzepte, das Vorantreiben der Digitalisierung mit Connected und Autonomous Driving Cars, aber auch die Digitalisierung von Handel und Service und – ich wiederhole mich – alternative (technologieoffene) Antriebskonzepte.

Ich bin jetzt nicht derjenige, der aus gegebenem Anlass vorschlägt, die CO2-Ziele wieder zu reduzieren. Diese liegen nach einem schmerzlichen Entscheidungsprozess auf dem Tisch und die Autoindustrie hat sich darauf eingestellt. Aber es könnte helfen, den Strafenkatalog für ein oder zwei Jahre auszusetzen oder vorübergehend die Strafen zu senken. Es ist einfach so, dass die vorgegebenen CO2-Ziele nur erreichbar sind, wenn der Alt-Fahrzeugbestand zügig durch einen neuen ersetzt wird. Gelingen wird das aber nicht durch Verbot alternativer Antriebs- und Kraftstoffkonzepte, sondern durch Förderung und Wettbewerb. Batteriebasierte Elektromobilität allein ist keine Antwort – allein schon, weil es heute und in absehbarer Zeit an ausreichender Lade-Infrastruktur mangelt.