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Exklusivinterview mit Dr. Harald Marquardt, Vorsitzender der Geschäftsführung der Marquardt Gruppe

„Es werden sich neue Chancen auftun“

Umsatzeinbrüche, Kurzarbeit, Geschäftsschließungen: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Unternehmen sind weltweit massiv. Wie kommt die Wirtschaft nach dem Shutdown schnell wieder auf Touren? Einschätzungen von Experten aus unterschiedlichen Bereichen von Wirtschaft und Politik in der gemeinsamen Interviewreihe der CONCEPT AG und der Sympra GmbH (GPRA).

Dr. Harald Marquardt, Vorsitzender der Geschäftsführung der Marquardt Gruppe

Herr Dr. Marquardt, Ihre Unternehmensgruppe gehört zu den international führenden Anbietern mechatronischer Schalt- und Bediensysteme mit 20 Standorten auf vier Kontinenten. Welche Auswirkungen hatte die Corona-Krise bisher auf Ihre Produktion?

Nach Ausbruch der Corona-Pandemie in China haben wir sehr schnell mit umfassenden Schutzmaßnahmen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reagiert und zum Beispiel Fieber gemessen und Masken verteilt. Durch die „Blaupause China“ und mehrere Taskforce-Teams waren wir an allen anderen internationalen Standorten sehr gut auf das Virus vorbereitet. Trotzdem hat Covid-19 auch unsere Produktion massiv beeinträchtigt. So mussten wir in einigen Ländern Werke über mehrere Tage oder gar Wochen komplett schließen, weil Regierungen den Shutdown verhängt haben.

Nicht zuletzt wegen ausbleibender Kundenabrufe und des starken konjunkturellen Einbruchs lag die Gesamtauslastung unserer Werke im April und Mai zeitweise bei nur dreißig bis vierzig Prozent. Dabei gab und gibt es große regionale Unterschiede: Während die Lage an unseren Standorten in Mexiko oder den USA aktuell noch sehr kritisch ist, haben wir in China die Talsohle schon im Februar durchschritten und arbeiten jetzt bereits wieder nahezu unter Vollauslastung. Das globale Auf- und Abebben der Corona-Infektionswelle spiegelt sich also auch in unserer Produktion wider.

Ein großer Teil Ihrer Produkte wird in Fahrzeugen verbaut. Die Automobilindustrie steht vor einem enormen technologischen Strukturwandel. Corona kam als zusätzliche Belastung noch hinzu. Wie zuversichtlich sind Sie für die weitere Entwicklung der Branche?

Die Corona-Pandemie wird als Zäsur in die Geschichte der Automobilindustrie eingehen, da bin ich mir sicher. Denn das Virus und seine Folgen wirken wie ein Katalysator auf die weitere Entwicklung der Branche. Und das in verschiedene Richtungen. So werden wir trotz aller Staatshilfen, die jetzt gewährt werden, eine starke Marktbereinigung erleben. Die Renditen werden insgesamt deutlich schrumpfen, der Wettbewerb wird noch viel härter. Es ist damit zu rechnen, dass viele Firmen, vor allem kleinere und mittlere Betriebe mit geringen Kapitalreserven und fehlender Innovationskraft, die Krise nicht überstehen werden oder sogar Insolvenz anmelden müssen.

Es wäre aber falsch, nur schwarzzumalen. Ich bin grundsätzlich weiterhin optimistisch, dass wir auch diese Krise gut bewältigen werden. Es werden sich neue Chancen auftun, etwa wenn das Automobil aufgrund des „physical distancings“ und des erhöhten Schutzbedürfnisses der Menschen wieder eine erhöhte Nachfrage erfährt und viele Menschen auf öffentliche Verkehrsmittel zugunsten des privaten Pkw verzichten werden. Profitieren werden dabei vor allem jene Unternehmen, die sich in den letzten Jahren auf einen oder gleich mehrere der großen Zukunftstrends eingelassen haben, wie zum Beispiel auf das elektrische, digitalisierte, aber auch hochvernetzte Auto.

Auch wir bei Marquardt leiden zwar aktuell stark unter den wirtschaftlichen Auswirkungen des Corona-Virus; langfristig sehen wir uns als Mechatronik-Experte aber gut positioniert. Zu den Produkten, mit denen wir die Mobilitätswende mitgestalten, gehören etwa Batteriemanagementsysteme, die wir für elektrisch betriebene Fahrzeuge entwickeln und produzieren, oder hochintegrierte Bedienfelder, die den Komfort, die Sicherheit und die Anmutung im Fahrzeuginnenraum erhöhen.

Es gibt zahlreiche Unternehmen in der Automobilindustrie, die mit hochinnovativen Lösungen wettbewerbsfähig sind und auch künftig Hunderttausende gut bezahlte Arbeitsplätze in unserem Land bieten können. Diese Leistungsträger der deutschen Industrie, von der viele weitere Branchen profitieren, sollte die Politik in der Corona-Krise jetzt konsequent stärken.

Mein Appell an die politischen Entscheider lautet: Habt Vertrauen, dass gerade wir Familienunternehmen um jeden Arbeitsplatz kämpfen und uns aus freien Stücken am Wiederaufbau nach der Krise beteiligen, stranguliert uns nicht durch noch mehr Steuern, Sozialabgaben und Bürokratie!

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Sie haben bereits sehr früh von der Politik einen klar kommunizierten Corona-Exit-Plan gefordert. Nacheinander gibt es jetzt Lockerungen in vielen Bereichen. Ist das die richtige Strategie, um unsere Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen?

Mir war von Beginn der Krise an wichtig, dass Gesundheit und Wirtschaft nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern ganzheitlich gedacht, geplant und gehandelt wird. Deshalb habe ich früh dafür plädiert, einen Exit-Plan auszuarbeiten und zu kommunizieren, wie unter Einhaltung aller notwendigen Schutzmaßnahmen das Wirtschafts- und Erwerbsleben am Tag X wieder reanimiert werden kann, damit die Existenz von Millionen Menschen nachhaltig gesichert wird. Schließlich werden wir auf Dauer auch nur dann ein leistungsfähiges Gesundheitssystem haben, wenn die Unternehmen, die täglich auf Neue das Geld für dieses System erwirtschaften müssen, vital bleiben.

Soweit die Reproduktionszahlen auf niedrigem Niveau bleiben und sogar weiter sinken, sind die Lockerungen der Quarantäneregeln also ein wichtiger Schritt auf dem Weg aus der Krise. Zusätzlich brauchen wir jetzt ein starkes Konjunkturprogramm, das die Wirtschaft und besonders ihre Leitindustrie – die Automobilbranche mit all ihren angrenzenden Bereichen – schnell wieder in Schwung bringt, Beschäftigung sichert, die Kaufkraft stärkt und, psychologisch ganz wichtig, den Menschen Zuversicht vermittelt. Denn die Angst vor Jobverlust und Einschnitte beim Einkommen hemmen derzeit noch in hohem Maße den Konsum.

Teil der Strategie sollte es auch sein, die Unternehmen am Standort Deutschland zu entlasten, etwa durch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten bei Investitionen oder eine Ausweitung der Verlustrückträge. Mein Appell an die politischen Entscheider lautet: Habt Vertrauen, dass gerade wir Familienunternehmen um jeden Arbeitsplatz kämpfen und uns aus freien Stücken am Wiederaufbau nach der Krise beteiligen, stranguliert uns nicht durch noch mehr Steuern, Sozialabgaben und Bürokratie!

Durch die Pandemie sind weltweit Lieferketten zusammengebrochen, Industrieunternehmen konnten nicht mehr fertigen. Gibt es Lehren, die sich schon heute aus der Corona-Krise ziehen lassen?

Es ist sicher angebracht, wenn Unternehmen die eine oder andere Lieferkette nochmals auf den Prüfstand stellen. Auch sollten wir bei Schutzgütern und technischem Equipment künftig unabhängiger von einzelnen Ländern sein, um Versorgungsengpässe oder gar Verteilungskämpfe und Preisexplosionen zu vermeiden. Daraus jedoch die Lehre zu ziehen, dass jetzt die Globalisierung zurückgefahren werden muss, wie es manche Stimmen lauthals fordern, halte ich für grundfalsch. Ich bin vielmehr der Meinung, dass wir eine noch viel intensivere internationale Zusammenarbeit benötigen, zuvorderst auf europäischer Ebene. Um Krisen wie die Corona-Pandemie bestmöglich zu bewältigen, helfen uns weder nationale Alleingänge mit Ellenbogen-Mentalität noch Populismus und Realitätsverweigerung. Stattdessen brauchen wir ein gemeinsam abgestimmtes und solidarisches Vorgehen über Ländergrenzen hinweg – sei es bei der Distribution von Schutzausrüstung und lebenswichtiger medizinischer Geräte, sei es beim koordinierten Hochfahren der Industrieproduktion oder auch einer zukunftsweisenden und gut abgestimmten europäischen Wirtschaftspolitik. Am Ende besiegen wir das Virus nur gemeinsam.